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Biologie

Fingers crossed, Christoph!

My former supervisor was never a man of many words. Even though he guided me through my first tentative one-and-a-half years of science, we would seldom talk more than was necessary. This was especially true for non-scientific topics. When he arrived at the office in the mornings, my presence was sometimes acknowledged with a barely audible “hi”, other times I had to make due with a quick side-glance while he briskly strode towards his desk. Another time, shortly after I had begun working under him, he left for one month of holidays, leaving me to fend for myself in a world of confusing molecules and menacing mathematical equations. I realised, that I should not expect much personal interaction with him, when the first words I heard from him after that one month of holidays were “I’m busy.” – no greetings, no smile, no time: he’s busy.

Ich möchte damit nicht andeuten, dass wir uns nicht verstanden hätten. Akademisch gesehen waren wir ein ausgezeichnetes Team. Wir haben ähnlich gedacht und uns nie über etwas gestritten. Nur gab es eben wenig persönliches Interesse über das obligatorische Hello Goodbye hinaus (Paul McCartney lässt grüßen). Eine engere Beziehung mit meinem Betreuer hätte ich sehr wertgeschätzt. Daher sind mir auch die wenigen Situationen umso mehr im Gedächtnis geblieben, in denen er mir doch persönliche Ratschläge gab. Bald fand ich nämlich heraus, dass er am späten Nachmittag ein wenig lockerer und nahbarer wurde. Natürlich war und bleibt er wohl ein Mann der Wissenschaft, daher drehte es sich auch in seinen persönlichen Ratschlägen hauptsächlich um diese und wie man sie zu verstehen hat. Aus diesen seltenen Momenten haben sich Zitate in mein Verständnis von Wissenschaft eingebrannt, die umreißen, was von Akademikerinnen und Akademikern gefordert wird. Für mich selbst habe ich diese die "Dreifaltigkeit der Wissenschaft" genannt: Harte Arbeit, Flexibilität und einen Arsch voll Glück.

I. Harte Arbeit

Meine Bachelor- und Masterarbeit habe ich an der Schnittstelle zwischen mehreren Disziplinen geschrieben: Synthetische Biologie, Bioinformatik, Biophysik, Systembiologie... unübersichtlich. Jedoch wandte ich all diese Disziplinen auf Pflanzen an. Im Studium der Biologie wird dir immer und immer wieder eingetrichtert, dass man in der Forschung geduldig sein und mit Frustration umgehen können muss. Forschung dauert seine Zeit und am Ende kann das Ergebnis ein ganz anderes sein, als du erwartet hast. Gerade ersteres ist im Fall von Pflanzen besonders zutreffend, denn es kann passieren dass du deine Blümchen sechs Monate lang über mehrere Generationen anziehst, bis du bemerkst, dass dein Experiment fehlgeschlagen hat.

Meiner Erfahrung nach verhalten sich solche Warnungen oft auf dieselbe Art und Weise: Man hört auf, sich Sorgen darüber zu machen, sobald man selbst betroffen ist. Genau das ist mir eines Tages im Labor aufgefallen. Es war schon nachmittags und das Institut leerte sich langsam. Ich hingegen saß weißterhin an meinem Laborplatz, tief über ein weißes Stück Papier gebeugt. Auf beiden Seiten des Blattes hatte ich je einen kleinen Baustrahler installiert um es ohne Schatten zu beleuchten. Durch eine zentimeterdicke Lupe untersuchte ich tausende von kleinen braun-roten Punkten auf dem Papier: Samen von meiner Arabidopsis thaliana, der sogenannten Ackerschmalwand. Ich war gerade dabei, die Samen, etwa 0.5 mm im Durchmesser, nach Farbe zu sortieren und hatte das schon die letzten Stunden gemacht, als mein Betreuer in mein Labor kam. Er schien überrascht, mich dort zu sehen, denn er fragte was ich tat und ob ich nicht bald gehen wollte. Daraufhin erklärte ich ihm, dass ich meine Samen noch an jenem Tag sortieren musste, um in meinem Zeitplan zu bleiben, und dass ich daher länger bleiben würde. Das fand er überaus interessant und als ich ihn fragend ansah, erklärte er sich schmunzelnd: "Das bedeutet, dass du ein Master wirst."

Clever, denn damit sagte er gleichzeitig zwei Dinge: Einerseits hatte ich natürlich kurz vorher mein Bachelorstudium abgeschlossen und das Masterstudium angefangen. In diesem Sinn wollte er also schlicht ausdrücken, dass ich Fortschritt machte. Andererseits wollte er, denke ich, hauptsächlich etwas anderes vermitteln: Dass ich begänne die Anforderungen der Wissenschaft zu verstehen und mich an sie anzupassen. Dass ich von selbst meinen Zeitplan nach meinen Experimenten richte und nicht andersherum. An diesem Tag blieb ich also möglicherweise bis abends im Labor. Andere Tage sollten folgen, an denen ich Samen bis 3 Uhr morgens auf Petrischalen ausplattieren würde. An einem Freitag kurz vor dem Ende meines Masters würde ich sogar die ganze Nacht bis halb 6 Uhr morgens durcharbeiten, um 1400 Pflanzen in Erde zu setzen, weil sie auf ihrem antibiotischen Medium schlicht auszutrocknen drohten. Die Wissenschaft hat scheinbar hohe Ansprüche und sie wartet nicht auf dich. Allerdings ist es am Ende deine Entscheidung, wie tief du in dieses Loch fallen möchtest, da es dich auch ganz verschlucken kann. Wenn überhaupt sollte ein Drang also aus dir selbst kommen und nicht von außen wirken.

II. Flexibilität

Wie schon erwähnt haben mein Betreuer und ich uns meistens gut verstanden und er war mit meiner Leistung sehr zufrieden. Tatsächlich gab es nur eine Sache, die er an mir manchmal kritisierte: "Du bist total versteift." Versteift? Was soll das überhaupt heißen? Nur weil ich meine Protokolle peinlich genau befolge und meine Zellen sekundengenau für sechs Minuten auftauen lassen, wenn es so auf dem Blatt Papier steht? Naja, ja, darüber machte er sich manchmal lustig. Aber eigentlich meinte er vermutlich einen ganzheitlicheren Blick auf das, was wir machten. Wenige Monate später gab er mir darauf einen weiteren Hinweis: "Wissenschaft ist wie Jazz."

Seit meiner Bachelorzeit unter ihm haben wir an der Publikation meiner Ergebnisse gearbeitet. Zwei Dinge stachen für mich bei diesem Prozess heraus. Erstens schien es mir, als produzierten wir viel mehr Ergebnisse, als letztlich in die Veröffentlichung kommen sollten. Als ich meinen Betreuer darauf ansprach, erklärte er, dass das ganz normal sei. Typischerweise stünde viel mehr Wissen hinter einer Publikation, als der unmittelbare Inhalt. Oft sind massenweise zusätzliche Daten vorhanden, aber schlicht noch nicht fertig aufbereitet. Darüber hinaus gäbe es einen guten strategischen Grund für diese Rückhaltung, der mich zur zweiten Eigenart dieses Prozesses bringt: das Manuskript veränderte sich mit der Zeit stark. Es ist unwahrscheinlich, als einziger Wissenschaftler an einem gewissen Thema zu arbeiten. Gewöhnlich gibt es mehrere Gruppen, die sich in ihren Forschungsgebieten überlappen, wodurch mehrere Forschende parallel an ähnlichen Publikationen arbeiten können. An diesem Punkt sollte man innehalten und sich der Wichtigkeit des wissenschaftlichen Geistes und offener Kommunikation im Sinne des Fortschritts gewahr werden. Gleichzeitig ist es auch verständlich, dass man Interesse an der Würdigung der eigenen Arbeit hat. Um diese Würdigung und eine Publikation sicherzustellen, kann man ein Ass im Ärmel zurückbehalten, das man ziehen kann, sollte es nötig werden. In unserem Fall wurde Arbeit anderer Gruppen veröffentlicht, die unserer ähnelte, also veränderten wir den Fokus unseres Manuskripts.

Als Teil einer Jazz-Band hast du die Möglichkeit, dich frei auszudrücken. Allerdings kann sich deine musikalische Umgebung verändern und du musst in der Lage sein, darauf schnell zu reagieren und dich anzupassen. Ähnlich verhält es sich in der Wissenschaft, wo sich der Status quo ständig entwickelt und deine Experimente nicht notwendigerweise immer nach deiner Nase tanzen. In beiden Fällen musst du dich neu orientieren und deinen Platz in dieser Umgebung finden. In der Wissenschaft ist es von höchster Bedeutung, den neuesten Stand und Entwicklungen darüber hinaus zu kennen - auch um deine eigene Arbeit im Zweifelsfall anpassen zu können.

III. Glück

Ich kann mich sehr lebhaft an den Moment erinnern, als ich mich mit meiner Probe an das Mikroskop gesetzt habe. Zwischen zwei Glasplatten in einer mikrometerdünnen Schicht Wasser hatte ich ein paar Pflanzenzellen isoliert, um sie zu untersuchen. Es war, mal wieder, schon Nachmittag und ich wollte schnell raus, um die Reste des guten Spätsommerwetters zu genießen. Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt nicht erwartet, etwas zu sehen, schließlich war das gleiche Experiment die vorige Woche schon fehlgeschlagen. Die Konsequenzen davon waren recht beunruhigend, denn sollten wir nicht in der Lage sein, zu zeigen dass das System funktionierte, so wären Monate der Vorbereitung umsonst gewesen. Also bringen wir es zügig hinter uns. Probe einlegen, Mikroskop anschalten, Wellenlängenfilter einstellen, durch Okular schauen, und... grün! Eine Welt des Grüns - Zellen über Zellen in Smaragdkleid, die dort vor sich her schwammen, als würde nichts sonderlich interessantes vonstatten gehen. Was sonst ein dunkler Kosmos schummriger Planeten war, hatte sich in eine Explosion von Jadesonnen verwandelt, die ihre Galaxie in einer verspäteten St. Patrick's-Feier schmückten. Noch ein paar Zentimeter weiter und mein Unterkiefer hätte den Boden berührt. In Sekunden war ich bei meinem Betreuer, meldete gehorsamst, dass wir Fluoreszenz hätten und erntete jenes breite Grinsen, von dem ich wusste dass es in sekundenschnelle auftreten würde.

In principle, it is the essence of science, which makes it both fascinating and frustrating: we don’t know, what is going on. The entire point of science is that there is some question, which we are trying to answer. Now, there might be a hypothesis about the solution and that hypothesis might make perfect sense in the entirety of our knowledge. The problem is that our knowledge is limited and therefore the hypothesis might be viable in our limited world view, but not in the context of the underlying truth. In such cases, an experiment, which seems like it should absolutely work, will mysteriously not and you will need to prove your flexibility once again. After all, while you probably had good reason to believe one thing, another thing could be just as plausible. But sometimes, if you have laid out your arguments very well and on top of that are really lucky, your hypothesis just might line up with your experimental results and you may have discovered some truth.

Es sind sich wohl alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Glückes als Faktor bewusst. Mein Betreuer zeigte das immer auf die gleiche Art, sobald wir eine neue Strategie besprochen hatten: Er warf mir einen seiner Seitenblicke zu, seine Augenbrauen formten dieses umgedrehte V, wobei sie Falten in der gleichen Dachform auf seine Stirn warfen und unsere Diskussion endete im Flehen: “Fingers crossed, Christoph!”

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